OBS - die Geheimwaffe gegen langweilige Videokonferenzen

Datum der Veröffentlichung

Danke, dass ihr in großen Teilen jetzt stolze Besitzer eines Headsets seid! Das war nicht auszuhalten, wie ihr eure Computer angeschrien habt. Nun kehrt Normalität mit den Videokonferenzen ein und wir sollten uns für den nächsten Level fit machen.

tl;dr: Das Endmonster ist noch weit entfernt.

Mit OBS Studio können wir Videokonferenzen visuell ein bisschen spannender gestalten. Gleichzeitig erhalten wir mit Open Broadcaster Software eine höhere Flexibilität für die eigene Videokonferenz-Online-Präsenz. Ob in einer Videoschalte oder in Talks und Webinaren.

Ist-Zustand

Ihr kennt das? Stundenlang auf den gleichen Bildausschnitt der Teilnehmenden zu schauen? Unbeweglich sitzen sie in immer derselben Ecke? Tagelang? Gekreuzt mit anderen Beobachtungen der letzten Monate gibt es sogar schon einen eigenen Fachbegriff: Zoom Fatigue (Erschöpfung, Müdigkeit). Ich habe das Phänomen für mich auch bei Jitsi oder BigBlueButton kennenlernen können ;)

Einige von euch nutzen die im Laptop eingebaute Webcam und laufen auch schon mal während der Konferenz mit dem Gerät in der Hand durch die Gegend. Für mich angenehm, da dadurch etwas Abwechslung in den Bildausschnitt kommt. Nicht nur von euch als Person, sondern auch vom Hintergrund. Falls ihr zu sehr wackelt, hat das bei mir aber auch schon zu Anflügen von Seekrankheit geführt :)

Take back control

Die wenigsten Videokonferenzlösungen erlauben mehr als eine gleichzeitige Bildquelle. Wenn ihr zwei oder mehrere Cams zur Auswahl habt, müsst ihr das eine Videobild beenden und für das andere die Verbindung erneut aufbauen. Nicht so schön und immer mit Unterbrechungen verbunden. Hier kommt ein wunderbares Stück freier Software ins Spiel:

OBS Studio (im weiteren von mir nur OBS genannt) gibt es für Linux, Mac und Windows zum Download. In Verbindung mit den Tools VirtualCam und WebSockets bekommt ihr ein Setup in die Hand, mit dem ihr euch ganz wunderbar in Szene setzen könnt.

In kurz: Der Output von OBS wird der Input für die Videokonferenz.

Grundaufbau

Zugegeben, das Interface gewinnt keinen Schönheitspreis. Für den Start konzentrieren wir uns auf die Elemente im Fuß der Anwendung.

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OBS-Benutzeroberfläche: Fußbereich

Screenshot: OBS-Oberfläche - Fußbereich

Szenen

Ihr könnt beliebig viele Szenen anlegen und diese während eurer Konferenz wechseln. Jede Szene beinhaltet beliebig viele verschiedene Quellen. Achtet also darauf, dass ihr der Szene einen eindeutigen Namen gebt. Die Szenen erhalten im Kontext der WebSockets noch einmal Bedeutung. Ich benenne die Szenen beispielsweise Frontal, Frontal-mit-Präsentation, Totale, Präsentation.

Quellen

In jeder Szene definiert ihr jetzt die dort verwendeten Quellen. Für den Anfang konzentrieren wir uns zuerst einmal auf Videoaufnahmegerät und Fensteraufnahme. Das Videoaufnahmegerät ist … richtig, eure Webcam. Wenn ihr mehr als eine habt, könnt ihr die richtige im Dropdown auswählen. Vor dem Speichern solltet ihr auch hier einen eindeutigen Namen verwenden.

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OBS-Oberfläche: Konfiguration einer Videoquelle

Screenshot: OBS-Oberfläche - Konfiguration der Videoquelle

Die gespeicherten Quellen werden mit einem Rahmen versehen, den ihr mit der Maus anfassen und in Größe und Position verändern könnt. Da ihr in einer Szene mehrere Quellen hinterlegen könnt, kommen jetzt Ebenen ins Spiel. Quellen hinter Quellen sind eventuell nicht mehr sichtbar. Über das Kontextmenü der Quelle (rechter Mausklick) könnt ihr bei Reihenfolge die Ebene verschieben. Das ist hilfreich, wenn ihr über die Fensteraufnahme eure Präsentation ausgewählt habt und euer Webcam-Bild darüber legen wollt.

Bei der Fensteraufnahme stehen euch alle geöffneten Anwendungsfenster einzeln zur Verfügung. Ob das Präsentationsfenster eurer Präsentationssoftware, eine geöffnete PDF-Datei oder ein bestimmtes Browserfenster. Nachdem ihr das Anwendungsfenster als Quelle hinterlegt habt und von OBS zu diesem Anwendungsfenster wechselt, sieht man in der Vorschau auch die Mausbewegung. Ihr müsst das Anwendungsfenster im Vordergrund aktiv haben, damit ihr mit Shortcuts, Maus oder per Tastatureingaben die Anwendung bedienen könnt.

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OBS-Oberfläche: Bildschirmteilen

Screenshot: OBS-Oberfläche - Konfiguration Desktop teilen

Wenn ihr statt eines einzelnen Fensters den ganzen Bildschirm freigeben wollt, verwendet ihr als Quelle die Bildschirmaufnahme. Für mein Setting ist das nur bei der Verwendung von mindestens zwei Bildschirmen sinnvoll. Ich komme bei einem Bildschirm immer mit den ganzen Apps durcheinander. Meist ist mein virtueller Schreibtisch auch nicht besonders aufgeräumt :)

Stichwort: Bildschirme

Wenn ihr könnt, schließt mindestens einen weiteren Monitor an. Das hilft, alle Fenster sinnvoll nebeneinander anzuordnen oder sogar eine strikte Trennung zwischen den Präsentationsfenstern und den OBS-Fenstern herzustellen. Wenn ihr keinen zweiten Monitor anschließen könnt, macht euch mit dem Fenstergewusel vertraut. Freut euch auf den Abschnitt Websockets, da ihr dann zumindest mit einem zweiten Gerät die Szenen wechseln könnt.

Audio is the king

Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, das Thema Audio zu behandeln. Es ist allerdings so umfangreich, dass wir darauf in einem separaten Post eingehen werden. Für die Zielerreichung des vorliegenden Beitrags (nämlich: abwechslungsreicheres Bild bei Videokonferenzen) ignorieren wir die Audiosettings bei OBS und wechseln direkt in den Livebetrieb.

OBS out in BBB in

Genug Szenen konfiguriert und die Möglichkeiten von OBS durchgespielt. Jetzt wollen wir sehen, ob wir das auch in die Videokonferenz-Software bekommen. Also den Output von OBS als Input für BigBlueButton oder Jitsi. Wechselt in OBS in die Einstellungen bei Werkzeuge, wählt v4l2sink und aktiviert die virtuelle Kamera.

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OBS-Oberfläche: V4L2sink

Screenshot: OBS-Oberfläche - Konfiguration der virtuellen Cam

Wechselt danach in die Videokonferenzsoftware (z. B. https://meet.jit.si) und bestätigt beim Verbindungsaufbau die (neue) virtuelle Cam als Webcam. Beim Mikrofon nehmt ihr das eurer Wahl.

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OBS-Demotime mit meet.jit.si

Screenshot: OBS als Eingabequelle für eine Videokonferenz

Sobald ihr verbunden seid, wechselt zu OBS und klickt die Szenen durch. Hat alles gleich auf Anhieb richtig funktioniert, seht ihr in Jitsi jetzt die Szenenwechsel. Ihr müsst euch nicht neu verbinden, wenn ihr eine Präsentation durchführen wollt, da dafür die bereits bestehende Verbindung genutzt wird.

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OBS in action. Aktuell mit Desktopsharing

Screenshot: Aktive Nutzung von OBS in einer Videokonferenz

Holt euch eine zweite Person in die Konferenz und spielt Audio/Video durch. Bestimmt findet ihr etwas, was nicht auf Anhieb funktioniert.

Die eigene Bildregie

Ein weiteres wunderbares Feature von OBS sind die WebSockets. Sobald ihr die im Menü Werkzeuge aktiviert habt, könnt ihr über ein weiteres Gerät (Computer, Pad, Smartphone) OBS fernsteuern.

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OBS-Oberfläche: Websockets konfigurieren

Screenshot: OBS-Oberfläche - WebSockets Konfigurationsfenster

Das Remote-Gerät muss im gleichen Netzwerk sein. Es gibt zwei Frontends, die ihr einfach aufrufen oder installieren könnt. Öffnet auf eurem Remote-Gerät dieses Frontend in einen Browser und tragt die lokale IP-Adresse vom OBS-Computer ein. Die WebSockets stehen auf Port 4444 zur Verfügung. Wenn alles geklappt hat, seht ihr große Kacheln mit den Namen der Szenen. Ein Klick auf die Kachel wechselt die Szene.

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OBS - Szenenwechsel über iPAD-Oberfläche

Screenshot: OBS-Szenenwechsel über iPAD

Ich nutze dafür meist ein Pad, das ich mir klickbereit hingestellt habe.

Dass ihr diese WebSockets natürlich auch zum Internet hin bereitstellen könnt, damit jemand anders an einem anderen Ort die Bildregie übernehmen kann, erwähne ich hier nur am Rande.

Lessons learned

Ich hab dieses Jahr einige Talks auf virtuellen Konferenzen gegeben. Mein Setup hab ich oben beschrieben. Was mich zu neuen Herausforderungen brachte: Ich war jetzt nicht mehr nur ein Sprecher, der einen Talk hält. Ich war auch Kameramann, der verschiedene Cams im Blick halten musste. Und dann war ich noch mein eigener Regisseur, der den Spannungsbogen durch unterschiedliche Perspektiven setzen wollte. Anfänglich habe ich die Knöpfe falsch bedient, in die falsche Kamera geschaut oder festgestellt, dass ich die Bildschirme noch ganz anders anordnen muss. Teilweise stimmte mein Audiosetting nicht und ich konnte kein Audio empfangen. Auch die Situation, in einen leeren (Bildschirm)Raum zu sprechen, war ungewohnt. Inzwischen habe ich gelernt, das alles zu händeln.

Denn das mit den Videokonferenzen geht nicht mehr weg. Gewöhnt euch lieber schneller dran :)

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Stephan Luckow

Stephan ist Open-Source-Evangelist und ständig neugierig auf Technologien. Thematisch lassen sich seine Blogbeiträge am ehesten zusammenfassen unter "Wissensdurst (vorerst) gestillt".

Kommentare4

Anonymous via Commento

Submitted by luckow on Fr., 05.03.2021 - 09:48

Zu geil endlich mal jemand…

Zu geil endlich mal jemand der das mit begeisterung erklärt ich bin Positiv überrascht geht das ganze den auch auf dem Mac 💻 oder muss man da was anders machen?

Stephan Luckow

Submitted by luckow on Di., 13.04.2021 - 18:37

Entschuldige bitte die späte…

Entschuldige bitte die späte Antwort. Mein Kollege Manfred hat seine OBS-Erfahrungen mit dem Mac hier festgehalten.

Und ja: im Kern funktioniert OBS auch genauso auf dem Mac. Die Namen hier und da lauten anders. Teilweise gibt es für das OSX nicht alle Plugins. Ab und an ist eine Version für den Mac nicht so stabil wie für Windows oder Linux. Das ist aber alles kein Grund, OBS nicht auf dem Mac zu nutzen.

Anonymous via Commento

Submitted by luckow on Di., 13.04.2021 - 09:56

Hallo Coole Sache, habs…

Hallo Coole Sache, habs probiert, ich fide aber unter Werkzeuge die virtuelle Cam nicht ? Danke für einen Hinweis...lg Falk

Stephan Luckow

Submitted by luckow on Di., 13.04.2021 - 18:53

Ups. Das mit der virtual cam…

Ups. Das mit der virtual cam (Installation) ist wohl etwas zu kurz geraten. Sorry. Für Windows ist das einfach: https://obsproject.com/forum/resources/obs-virtualcam.949/ Für Linux installierte ich üblicherweise https://github.com/CatxFish/obs-v4l2sink und folge heute der dort hinterlegten Anleitung. Für Mac weiß ich das gerade nicht in aktuellen Versionen. Da gab es auch mal eine Version, die imho auf dem Windows-Plugin basierte. Sofern ich Neuigkeiten dazu erfahre, aktualisiere ich das hier im Beitrag.