Windows-Screenreader: JAWS vs. NVDA

Datum der Veröffentlichung

Nach sieben Jahren ausschließlicher Mac- und Linux-Nutzung habe ich mich nun endlich einmal mit den beiden Windows-Screenreadern JAWS (Job Access With Speech) und NVDA (NonVisual Desktop Access) auseinandergesetzt. Dafür musste ich natürlich auch erstmals das Betriebssystem Windows 10 installieren.

Die erste Überraschung

Die erste Überraschung gab es, als ich herausfand, dass die komplette Installation von Windows 10 mit einem Screenreader durchgeführt werden kann. Damit hat Microsoft nicht nur zu Apples Macs aufgeschlossen, sondern diese in der Zuverlässigkeit der Sprachausgabe wärend der Installation sogar übertroffen. Damit habe ich absolut nicht gerechnet und das schätze ich sehr.

Schade ist hingegen, dass die Voreinstellungen unter Windows für an Datenschutz interessierte Menschen das nackte Grauen verkörpern. So werden in der Standardeinstellung beispielsweise Softwarekonfiguration und Statistiken darüber erhoben und an Microsoft gesendet, welche Software in welchem Zeitraum wie häufig und wie lange verwendet wird. Ebenfalls wird der persönliche Schreibstil und die Interaktion mit dem Computer analysiert, um nur ein paar Punkte zu nennen. Vieles lässt sich unterbinden, allerdings nicht alles, und es erfordert einiges Suchen, bis man wirklich sämtliche Einstellungen gefunden hat.

Screenreader

Windows bringt bereits einen eigenen Screenreader (Narrator) mit, der sich stetig verbessert. Mir persönlich ist er aber nicht performant genug. So vergeht einige Zeit vom Tastendruck bis zu dem Moment, in dem die Aktion endlich durchgeführt wird. Dies sind für einen Beobachter vermutlich Zeiten, die man tolerieren könnte, aber gerade wenn man sehr schnell mit dem Screenreader navigiert, hat man das Gefühl, auf den Rechner warten zu müssen. Ob das am Narrator selbst liegt oder ob es Einstellungsmöglichkeiten gibt, um ihm Beine zu machen, wäre Thema für einen weiteren ausführlichen Blogpost. Für diesen Test habe ich Narrator lediglich dazu verwendet, andere Screenreader herunterzuladen, und das war zu wenig Nutzungszeit für eine fundierte Meinungsbildung.

JAWS

Da ich bisher gar keine Berührungspunkte mit JAWS hatte, habe ich mir die aktuelle Version heruntergeladen, um den Screenreader kennenzulernen. Vor allem interessierte mich dabei, was JAWS eigentlich so einzigartig macht.

Auf meinem Testsystem läuft er ziemlich schnell und sowohl mit Google Chrome als auch mit Mozilla Firefox zusammen ohne größere Fehler. Sehr gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass die Einstellungen von JAWS an verschiedenen Orten zu finden sind und keiner für mich nachvollziehbaren Struktur folgen. Teilweise findet man im JAWS-Fenster selbst Einstellungsmöglichkeiten und teilweise muss man versuchen, sich über das Fenster der “Hilfsprogramme” zu orientieren.

Da ich als Office-Programm ausschließlich LibreOffice verwende, stellte sich recht schnell heraus, was für mich den größten Mangel an JAWS darstellt: Es weigert sich beharrlich, mit dieser Open-Source-Software zusammenzuarbeiten. Dieses Problem ist in mehreren Foren schon angemerkt worden. Scheinbar gibt es aber kein Interesse daran, diesen Umstand zu beseitigen. Statt dessen konzentriert man sich auf die Zugänglichkeit zum Microsofts Office-Paket.

Fairerweise habe ich also bei JAWS-Nutzern nachgefragt, was ihrer Meinung nach der große Vorteil von JAWS ist. Die Antworten lassen sich zu zwei Punkten zusammenfassen:

  1. Als wenig versierter Nutzer finde ich zuhauf Schulungsangebote.
  2. Wenn sich ein Programm nicht lesen lässt, lässt sich JAWS mit einer eigenen Skriptsprache anpassen.

Letzteres tun nur die allerwenigsten Nutzer selbst. Der Normalfall ist, dass Unternehmen beauftragt werden, solche Skripte zu schreiben. Da wiederum die wenigsten Privatnutzer einen solchen Auftrag erteilen werden, sind dies also vorwiegend Argumente für den Einsatz im beruflichen Umfeld.

NVDA

Da LibreOffice für mich nicht mit JAWS nutzbar ist, habe ich mir die aktuelle Version von NVDA heruntergeladen. Die Bedienung ist an einigen Stellen etwas anders als bei JAWS. Dabei ist sie allerdings ähnlich genug, um einen Umstieg problemlos möglich zu machen.

Um den Funktionsumfang zu erweitern, können Add-ons installiert werden. Ich persönlich finde auch sehr angenehm, bei entsprechenden Kenntnissen sogar selbst Hand anlegen und mich dabei der weit verbreiteten Programmiersprache Python bedienen zu können.

LibreOffice läuft im Übrigen mit NVDA. Zwar nicht perfekt, allerdings immer noch besser als das, was ich von VoiceOver auf dem Mac gewohnt bin. Im Gegensatz zu JAWS bietet NVDA ein sehr übersichtlich strukturiertes Menü, dessen Aufbau meines Empfindens nach keine Wünsche offen lässt.

Auch hier fragte ich in der Community herum, weshalb sich trotz der hervorragenden Performance NVDA nicht auch im beruflichen Umfeld durchsetzt. Die Antworten glichen denen aus der Gruppe der JAWS-Nutzer bis ins Detail.

Fazit

Nach meinen ersten Erfahrungen ist in der alltäglichen Nutzung, wenn überhaupt, ein absolut minimaler Unterschied zwischen den beiden Windows-Screenreadern erkennbar. Ich bin während meiner Tests zu keiner Zeit an den Rand der Möglichkeiten von NVDA gelangt und hatte nie das Gefühl, weniger Kontrolle über meinen Computer zu haben. Dieser Umstand macht angesichts des hohen Anschaffungspreises von JAWS, zu dem noch die Kosten für etwaige Anpassungen kommen, nachdenklich. Es stellt sich außerdem die Frage, wie viel besser der NVDA sein könnte, wenn die JAWS-Nutzer – sagen wir beispielsweise – regelmäßig ein Viertel eines Lizenzpreises für die Weiterentwicklung von NVDA spenden würden.

Bei der Vorbereitung für diesen Blogpost erreichten mich sehr viele Stimmen, die einem Umstieg auf NVDA grundsätzlich sehr offen gegenüberstehen, sich aber Sorgen darum machen, wie es mit der Kompatibilität von beruflich genutzter Software aussieht. Gäbe es also einen Anbieter, den man mit der Anpassung bzw. Erweiterung von NVDA beauftragen könnte, wäre die Nutzerbasis von NVDA deutlich größer.

Es ist eine beachtenswerte Leistung, die der gemeinnützigen Organisation NV-Access und der NVDA-Community bis heute gelungen ist. Und sie zeigt, dass Open-Source-Software auch in kritischen Bereichen sehr nahe an einen Branchenprimus heranreichen kann.

Um das Projekt zu fördern und um für mehr Wahlfreiheit auch am Arbeitsplatz zu sorgen, nehmen wir uns der Kritikpunkte an NVDA professionell an. Kontaktieren Sie uns gerne mit Ihren individuellen Anforderungen!

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Dennis Westphal

Dennis ist IT-Berater bei der Gesellschaft zur Entwicklung von Dingen. Sein Gebiet ist die Barrierefreiheit. Hilfreich dabei: Dennis ist seit Geburt blind. Seine Screencasts erstellt er mit Open-Source-Software.

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