In der digitalen Welt von heute ist Barrierefreiheit nicht nur ein ethisches Anliegen, sondern zunehmend auch eine rechtliche Verpflichtung. Besonders im Kontext der Enterprise-Resource-Planning-Softwares wie Odoo zeigen sich jedoch oft versteckte Barrieren, die vielen Entwicklern und Administratoren entgehen. Ein solches Problem betrifft die Formularfelder in Odoo-Versionen vor 18, bei denen den Input-Feldern keine IDs zugewiesen werden – ein scheinbar kleines Detail mit großen Auswirkungen auf die Zugänglichkeit.
Das Problem der fehlenden Input-IDs
In Odoo-Versionen unter 18 werden Formularfeldern standardmäßig keine IDs zugewiesen, die mit den entsprechenden Label-Elementen verknüpft sind. Diese Verbindung zwischen Label und Eingabefeld ist jedoch ein grundlegender Baustein der digitalen Barrierefreiheit. Ohne diese Verknüpfung können Screenreader und andere assistive Technologien die Zuordnung zwischen Beschriftung und Eingabefeld nicht korrekt interpretieren, was die Benutzererfahrung für Menschen mit Behinderungen erheblich beeinträchtigt.
Ein korrektes HTML-Formular sollte eine eindeutige Verbindung zwischen Label und Input-Feld herstellen:
<label for="email">E-Mail-Adresse:</label>
<input type="email" id="email" name="email">
In Odoo vor Version 18 fehlt jedoch häufig die ID im Input-Element, wodurch die for-Attribute der Labels ins Leere laufen.
Rechtliche Rahmenbedingungen in der EU
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren ihre Bemühungen verstärkt, digitale Barrierefreiheit durchzusetzen. Mit der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen wurde ein wichtiger Grundstein gelegt. Der European Accessibility Act (EAA) erweitert diese Anforderungen nun auch auf den privaten Sektor.
Ab 2025 werden deutlich mehr digitale Produkte und Dienstleistungen die Anforderungen der Barrierefreiheit erfüllen müssen. Unternehmen, die ihre digitalen Angebote nicht anpassen, riskieren nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern verlieren auch den Zugang zu einem bedeutenden Nutzerkreis – In Deutschland leben etwa 1,2 Millionen Menschen mit Sehbehinderungen, von denen rund 150.000 definitiv auf assistive Technologien wie Screenreader angewiesen sind. (Quelle: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV)
Partner und Sponsoren sind, die alle eine Schlüsselrolle bei diesem Open-Source-Projekt spielen. Sie haben sowohl ihr Fachwissen als auch ihr Engagement für den Erhalt von CiviCRM für alle unter Beweis gestellt.
Warum viele Unternehmen noch Odoo 16 oder 17 verwenden
ERP-Systeme bilden das Rückgrat der Unternehmensorganisation. Ein Update ist mit erheblichem Aufwand verbunden, weshalb die langen Supportzeiträume (Odoo 16 bis Oktober 2025, Odoo 17 bis Oktober 2026) bewusst genutzt werden. Die Aktualisierung erfordert Kompatibilitätsprüfungen, Anpassung individueller Entwicklungen, sichere Datenmigration, umfangreiche Tests sowie Mitarbeiterschulungen und kann zu Betriebsunterbrechungen führen. Da in der Praxis selten Major-Updates übersprungen werden, migrieren Unternehmen von Version 16 zunächst zu Version 17 – wo das Problem der fehlenden Input-IDs weiterhin besteht.
Die schnelle Lösung: Manuelle Anpassung der Formularfelder
Glücklicherweise lässt sich das Problem der fehlenden Input-IDs in Odoo auch ohne umfangreiche Programmierarbeiten beheben. Hier ist eine Schritt-für-Schritt-Anleitung:
- Meldet euch als Administrator in eurem Odoo-System an
- Klickt auf "Editor" in der oberen Funktionsleiste
- Wählt in der Navigationsleiste "Site" aus
- Öffnet den "HTML/CSS Editor"
- Wählt im Editor das zu bearbeitende Formular-Element aus
- Fügt den Input-Feldern manuell die passenden IDs hinzu, die im Label über das Attribut for bereits referenziert werden
Beispiel: Wenn ein Label for="foobar" enthält, ergänzt das zugehörige Input-Feld mit id="foobar".
Die Herausforderung bei manuellen Anpassungen
Bei der manuellen Bearbeitung von Templates zeigt Odoo eine wichtige Warnung an: Änderungen am HTML/CSS können bei künftigen Updates verloren gehen oder Probleme verursachen. Diese Warnung ist wohlbegründet, denn bei einem Update werden die Standardtemplates von Odoo überschrieben, wodurch manuelle Anpassungen zurückgesetzt werden können.
Die Hauptgründe für diese Problematik sind:
- Odoo verwendet ein Vererbungssystem für QWeb-Templates
- Updates können die Struktur von Basis-Templates ändern
- Direkte Änderungen am HTML werden nicht in der Datenbank nachverfolgt
Aus dieser Problematik können beim Updaten von Odoo z. B. per Git Konflikte entstehen, welche vor dem Update aufgelöst werden müssen.
Die nachhaltige Lösung: Custom Themes als Best Practice
Während die manuelle Anpassung der Input-IDs eine schnelle Lösung bietet, führt dieser Ansatz bei Updates häufig zu Problemen. Best-Practice in der Odoo-Entwicklung ist daher die Implementierung eines Custom Themes.
Die Implementierung eines Custom Themes erfordert jedoch fundierte Kenntnisse der Odoo-Architektur und Erfahrung im Umgang mit QWeb-Templates. Anders als bei manuellen Anpassungen geht es hier um systematische Eingriffe in die Plattform-Architektur.
Braucht ihr Hilfe bei der Implementierung eines Custom-Themes? Ihr könnt ihr euch jederzeit an uns wenden:
Barrierefreiheit als Chance begreifen
Die Anpassung von Formularfeldern in Odoo ist nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu umfassender digitaler Barrierefreiheit. Doch gerade solche vermeintlich kleinen Änderungen können für Nutzer mit Behinderungen den entscheidenden Unterschied bedeuten.
Barrierefreiheit sollte nicht als lästige Pflicht verstanden werden, sondern als Chance, die eigenen digitalen Angebote für alle Menschen zugänglich zu machen. Dies entspricht nicht nur dem Inklusionsgedanken, sondern erschließt auch neue Nutzergruppen und vermeidet rechtliche Risiken.
Die manuelle Anpassung von Odoo-Formularen mag eine temporäre Lösung sein – langfristig ist zu hoffen, dass Odoo und andere Softwareanbieter Barrierefreiheit von Grund auf in ihre Produkte integrieren - so wie sie es bei dieser Problematik ab Version 18 getan haben. Bis dahin liegt es in unserer Verantwortung als Entwickler und Administratoren, die digitale Welt ein Stück zugänglicher zu gestalten.