Food-Lieferdienste lassen Blinde am langen Arm verhungern

Bei der Gesellschaft zur Entwicklung von Dingen wird häufig selbst gekocht, aber manchmal sind wir auch ganz typische Nerds und haben Lust auf eine klassische Pizza. 

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Bildschirmfoto aus einer Aufzeichnung mit englischsprachiger Fehlermeldung "Something went wrong" und einer Schaltfläche zum Leeren des Warenkorbs
Screenshot Usabilitally-Sitzung Ubereats.com / Quelle: GzEvD

Mal eben eine Salamipizza kommen lassen? Eins-fix-drei? Schön wär's!

Für Hunderttausende Deutsche ist das im Jahre 2021 leider immer noch ein unerfüllter Wunsch.

Wir haben fünf bekannte Bringdienste ausprobiert und von unserem blinden Kollegen auf Gebrauchsfreundlichkeit und Barrierefreiheit checken lassen. Das erschütternde Ergebnis: Bei drei Anbietern wäre er gnadenlos verhungert! Denn an irgendeinem Punkt der Bestellung scheiterte er an simplen Formularfeldern.

Doch auch die anderen beiden Lieferplattformen, die wir geprüft haben, hatten deutliche Defizite bei der Bedienbarkeit: Es mussten so viele Hürden auf dem Weg zum vollen Teller überwunden werden, dass auch hier das Orderprozedere zwischen zwanzig und vierzig Minuten dauerte – und zum knurrenden Magen knurrige Laune aufkommen ließ.

Sind Blinde keine Zielgruppe?

Gerade Menschen mit Sehbehinderung würden an Komfort gewinnen, wenn sie jederzeit einfach und schnell die Möglichkeit hätten, fertig zubereitete Speisen an der Wohnungstür entgegenzunehmen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Webangebote der Dienstleister barrierefrei sind und Bevölkerungsgruppen, die sowieso viel zu oft benachteiligt werden, nicht gedankenlos ausschließen. Ansonsten ist vielleicht doch der beschwerliche Gang zum Restaurant zwei Straßen weiter weniger schwierig und langwierig als das umständliche Herumprobieren mit schlecht beschrifteten Formularfeldern am PC. Ganz zu schweigen vom Selberkochen …

Lieferdienste im Test

Die Plattformen von Call a Pizza, Uber Eats und Wolt verwehrten Screenreader-Usern leider rein technisch die Möglichkeit, eine Essensanlieferung zu beauftragen.

Die häufigsten Probleme

Erfreulicherweise haben die meisten Lieferdienste den Weg zur Auswahl des Wunschgerichts gut zugänglich gehalten. Bei manchen würden wir uns allerdings eine bessere Strukturierung mit Überschriften wünschen, denn die meisten Screenreader-User navigieren vorwiegend über die Überschriften.

Die Hürden gehen im Wesentlichen erst bei der Bestellung los: Mäßige Beschriftung von Formularelementen, fehlendes Feedback beim Betätigen von Schaltflächen, mühseliges Auffinden des Warenkorbs, Wechsel ins Englische, sobald Elemente unsichtbar beschriftet sind - und immer wieder Popups, die für assistive Technologien nicht zugänglich sind.

Testszenario

Thinking Aloud ist eine gängige Nutzer*innen-Testmethode, mit der Probleme bei der Benutzung z. B. einer Web-Applikation aufgespürt werden, indem die Gedanken und Empfindungen während der Durchführung einer Aufgabe laut ausgesprochen und aufgezeichnet werden. Üblicherweise werden diese Tests nur mit sehenden Proband*innen durchgeführt.

In unseren Usabilitally-Tests nutzen die Proband*innen assistive Technologien. Per Digitalkonferenz sind Teammitglieder anwesend und zeichnen die Thinking-Aloud-Protokolle auf. Die Audiovideodatei und eine schriftliche Auswertung zeigen die einzelnen Stolpersteine der Website auf. Der Name Usabilitally ist übrigens eine Zusammenziehung von Usability und Accessibility mit der verbreiteten Abkürzung A11y.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie man ohne Sehvermögen mit dem Notebook arbeitet, welche Hilfsmittel dabei zur Verfügung stehen und was für sie die häufigsten Hemmnisse im World Wide Web sind, empfehlen wir unsere Blogposts Wie blinde Menschen Computer nutzen und Barrieren bei der Internetnutzung.

Über uns

Die Gesellschaft zur Entwicklung von Dingen realisiert Lösungen für die digitale Souveränität unter Verwendung von Open-Source-Software. Leitprinzipien ihres Wirkens sind Nachhaltigkeit und Systemsicherheit, Barrierefreiheit und Datenschutz. Durch die Spezialisierung in verschiedenen Geschäftsbereichen ist die Firma breit und vielseitig aufgestellt. Typisch für die Teammitglieder: Sie schauen über den Tellerrand und stellen kluge Fragen.

Der Geschäftsbereich Broken Image bietet neben den Usabilitally-Tests auch klassische Barrierefreiheitstests an, z. B. Gutachten nach BITV oder WCAG, sowie die Erstellung und das Monitoring von Barrierefreiheitserklärungen. Und Beratung, wie man's besser macht, und Unterstützung bei der Umsetzung das wird natürlich auch angeboten.

Gesellschaft zur Entwicklung von Dingen, Osloer Straße 17, D-13359 Berlin

Pressekontakt und -material: www.gzevd.de/presse